Wintersession 2024
Mit den Schlussabstimmungen haben die eidgenössischen Räte am Freitag die Wintersession abgeschlossen. Das Parlament bringt zwölf Vorlagen unter Dach und Fach. Zur E-ID wird es vermutlich erneut ein Referendum geben, bei den anderen Vorlagen zeichnet sich keines ab.
E-ID
Mit 170 zu 25 Stimmen (eine Enthaltung) und 43 zu 1 Stimmen im Ständerat wurde dem neuen Anlauf für die Einführung eines staatlichen elektronischen Identitätsnachweises (E-ID) zugestimmt. Im Gegensatz zur 2021 abgelehnten Vorlage soll nun der Staat und nicht ein privates Unternehmen die E-ID herausgeben.
Kommentar:
Spätestens nach der Sammelphase wird es ein erneutes Referendum schwer haben. Es gibt zwar viele gute Gründe dafür, aber Unterstützung von den grossen Parteien dürfte es kaum geben. Die neue E-ID setzt auf EU-Kompatibilität anstatt auf Datensicherheit – das ist ein Fehler. Der Grundsatz des «Privacy by Design» ist verletzt. Dieses Prinzip besagt, dass die Privatsphäre durch die Architektur der Technologie geschützt werden muss und nicht (nur) durch Gesetze. Dies haben Parlamentarier nach dem Volks-Nein zur ersten Ausgabe der E-ID, explizit gefordert. Schade, dass sich die Gegner der letzten Version des E-ID-Gesetz und die Parlamentarier nicht an die angenommene Motion zur Neulancierung der E-ID erinnern und konsequent einfordern, was Sie einst wollten. Hier gibt’s mehr Info zum Technologieentscheid und zu möglichen Folgen einer E-ID Einführung.
Budget 2025 ist finalisiert
Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat den Antrag der Einigungskonferenz zum Bundesbudget gutgeheissen. Die Mittel bei der Auslandshilfe werden nach langen Debatten um 110 Millionen Franken gekürzt. Die Armee erhält rund eine halbe Milliarde mehr und die Subventionen an die Bauern wurden nicht angetastet. Bundesrätin Karin Keller-Sutter bedankte sich im Rat für die Arbeit der Ratsmitglieder. Sie sei dankbar, dass das Budget im Rahmen der Schuldenbremse blieb.
Eigenmietwert soll abgeschafft werden
Nach jahrelangem Ringen stimmten National- und Ständerat dem Vorschlag einer Einigungskonferenz zu einem Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung zu. Die geplante Abschaffung des Eigenmietwerts bei Erst- und Zweitwohnungen wurde vom Hauseigentümerverband schon lange gefordert, bringt aber Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Um Steuerausfälle auf kantonaler Ebene abzufangen, dürfen diese neu eine Objektsteuer auf Zweitliegenschaften einführen.
Dringliche Änderung des Stromgesetzes für die Stahlindustrie
Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat beschlossen, dass zwei Schweizer Stahlwerken und grossen Aluminiumgiessereien ein Teil der Strom-Netznutzungsgebühren erlassen werden soll. Umstritten ist die Verfassungsmässigkeit dieser Massnahme. Das Bundesamt für Justiz sagt, es bestehe keine verfassungsmässige Grundlage. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit aber auch das Willkürverbot würden verletzt. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission des Ständerats fand jedoch, es bestehe kein Konflikt mit der Verfassung.
Kommentar Politbeobachter:
Wie ein Sachverhalt beurteilt wird, hängt immer vom Standpunkt des Betrachters ab. Wer voll von seinem Blickwinkel überzeugt ist, sollte sich dringend die Argumente des Anderen anhören. Die Debatte um die Verfassungsmässigkeit der Änderung des Stromgesetzes ist nicht die Wichtigste, jedoch ein schönes Beispiel. Seitens des Politbeobachters schliessen wir uns eher der Argumentation von Ständerat Fässler an, als derjenigen von Beat Rieder der keine Verletzung der Bundesverfassung verortet. Stossend ist auch, dass die Änderung für dringlich erklärt wurde und bereits ab dem neuen Jahr in Kraft tritt. Dafür gibt es weder gute Gründe noch eine Rechtsgrundlage.
Beschleunigungserlass: Ständerat will Verfahren zum Bau von Energieanlagen ohne Verbandsbeschwerderecht
Das Parlament will die Bewilligungsverfahren für den Bau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie beschleunigen. Der Ständerat geht dabei weiter als der Nationalrat und hat beschlossen, Verbandsbeschwerden für 16 Wasserkraftprojekte nicht zuzulassen. Es geht um 16 Projekte in den Kantonen Wallis, Bern, Graubünden, Tessin und Uri (z.B. ein neuer Speichersee oberhalb von Zermatt und die Erhöhung des Grimselsees). Die im Energie-Mantelerlass erwähnten Projekte sollen nach dem Willen der Ständeratsmehrheit ohne Verzögerung umgesetzt werden. Eine linke Minderheit kritisierte den Entscheid scharf. Sie argumentierte, die Streichung des Verbandsbeschwerderechts widerspreche den Prinzipien eines Rechtsstaats. Das Geschäft geht zur Differenzbereinigung zurück an den Nationalrat.
Kommentar Politbeobachter:
Die Im Kontext der Abstimmungskampagne um den Mantelerlass geäusserten Befürchtungen des Nein-Lagers scheinen sich zu bewahrheiten. Das Gesetz, welches im Sommer 2024 angenommen wurde, liefert die Basis für die Einschränkung der Beschwerderechte. Der Beschleunigungserlass widerspricht zudem dem föderalistischen Prinzip und dem Selbstbestimmungsecht der Gemeinden. Um hier Gegensteuer zu geben, sollte die Gemeindeschutz-Initiative unterzeichnet werden.
Räte lockern Rechtsberatungsverbot für russische Unternehmen
Das Parlament lockert das Rechtsberatungsverbot für sanktionierte russische Oligarchen und Unternehmen. Nach dem Ständerat nahm auch der Nationalrat einen entsprechenden Vorstoss an. Die Rechtskommission (RK-N) hatte die vom Walliser Ständerat Beat Rieder (Mitte) eingebrachte Motion im Vorfeld zur Annahme empfohlen. Rieder ortete in dem im Rahmen der EU-Sanktionen gegen Russland übernommenen Verbot eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör.
Ständerat will ein nichtöffentliches Transparenzregister
Unternehmen sollen künftig verpflichtet sein, den Behörden ihre wirtschaftlich berechtigten Personen mitzuteilen. Der Ständerat befürwortet ein entsprechendes nationales, nichtöffentliches Transparenzregister. An dessen Nutzen gibt es jedoch Zweifel. Strafverfolgungsbehörden sollen mit dem Transparenzregister besser identifizieren können, wer an einem Unternehmen beteiligt ist. Kommissionssprecher Daniel Jositsch (SP/ZH) bezeichnete das Vorhaben aufgrund des ausländischen Drucks als alternativlos. Gleichzeitig machte er deutlich: «Wir werden damit Geldwäscherei nicht wirklich bekämpfen können.»
Nationalrat will Bauarbeiter bei Hitzetagen besser schützen
Der Nationalrat will Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter bei grosser Hitze besser schützen. Er hat eine Motion seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben angenommen, welche zum Ziel hat, dass Arbeitsbeschränkungen wegen Hitze nicht von Vertragsstrafen verhindert werden. Die SIA-Norm 118 sehe bereits vor, dass bei einer unverschuldeten Verzögerung seitens des Unternehmens – etwa Hitzetagen – die Fristen angemessen erstreckt werden müssten. Das schreibt die Kommission in ihrem Vorstoss. Doch leider würden diese Bedingungen in den Werkverträgen oft ausgeschlossen.
Eintrittsgebühr von 25 Franken in die Schweiz zur AHV-Finanzierung? Nationalrat sagt Nein.
Die parlamentarische Initiative von Nationalrat Thomas Aeschi (SVP/ZG) wollte den Overtourism in der Schweiz bekämpfen, wurde aber abgelehnt. Der Bund soll eine Maut, also eine Abgabe für Ausländerinnen und Ausländer, erheben, welche in die Schweiz einreisen. Diese Abgabe soll die Belastung der touristischen Hotspots lindern. Der Zuger SVP-Nationalrat wollte diese Abgabe bei 25 Fr. für erwachsene Touristen ansetzen, und die Einnahmen der AHV zugutekommen lassen.
Kommentar Politbeobachter:
Ganz so exotisch wie der Vorstoss auf den ersten Blick erscheint, ist er nicht. Neuseeland zum Beispiel erhebt eine „international visitor conservation and tourism levy“, die mittlerweile auf umgerechnet 53 Franken pro Einreise in das Land angehoben worden ist. Bhutan erhebt gar eine Einreisegebühr, genannt „sustainable development fee“ (SDF), von 200 US-Dollar pro Tag und Kroatien ist dabei, eine neue Ökogebühr einzuführen, die sogar von Tagesbesuchern zu entrichten ist. In der Umsetzung würde dies bedeuten, dass lückenlose Grenzkontrollen eingeführt werden müssten und es zu Problemen, wenn nicht sogar zur Kündigung des Schengen-Dublin Abkommens und des Personenfreizügigkeitsabkommens kommen könnte. Ob das eigentliche Ziel dieser Initiative tatsächlich die Bekämpfung von «Overtourism» oder die Einführung von Grenzkontrollen war, wissen nur die Initianten selbst. Beides ist möglich. Man muss Aeschi aber zugutehalten, dass durch den Vorstoss eine Vielzahl von Problemen angegangen worden wären, (AHV-Finanzierung, steigende Kriminalität in Grenzregionen aufgrund fehlender Grenzkontrollen, illegale Einreise in die Schweiz von Personen die danach nicht wieder ausgeschafft werden können) ohne dadurch riesige Mehrkosten zu verursachen. Schwer zu beurteilen wäre, ob die Schweiz als Tourismusdestination dadurch einen Nachteil erlitten hätte.
Familien von vorläufig Aufgenommen dürfen weiterhin nachziehen
Wer in der Schweiz kein Asyl erhält, aber nicht ins Heimatland zurückgeschickt werden kann, soll nach seinem Willen Familienangehörige weiterhin in die Schweiz holen können. Mit 20 zu 18 Stimmen und mit vier Enthaltungen lehnte der Ständerat zwei Motionen endgültig ab.
Ein Verbot würde dem Recht auf Achtung des Familienlebens und des Privatlebens zuwiderlaufen und die Hürden für den Familiennachzug seien heute schon hoch genug – so die Argumente der Mehrheit.
Räte wollen Sicherheit um Asylzentren erhöhen
Das Parlament will nach Sicherheitsvorfällen in und um Bundesasylzentren handeln. Es hat verschiedene in der Praxis gelebte Disziplinarmassnahmen gesetzlich verankert. Zusätzlich sollen der Anwendungsbereich und die Instrumente der Behörden ausgeweitet werden. Der Ständerat sagte als Zweitrat einstimmig Ja zu verschiedenen Änderungen im Asylgesetz.
Nationalrat sagt Ja zum Flugpassagierdatengesetz
Das vom Bundesrat unterbreitete nationale System zur Erfassung von Flugpassagierdaten hat eine erste Hürde genommen. Der Nationalrat nahm das dafür erarbeitete Flugpassagierdatengesetz mit 166 Ja- bei 25 Nein-Stimmen und vier Enthaltungen an. Mehrere rot-grüne Minderheiten forderten betreffend Datenschutz unter anderem eine schnellere Pseudonymisierung, eine Prüfung von Risikolisten durch Gerichte sowie eine kürzere Aufbewahrungszeit und schnellere Löschung der gesammelten Flugpassagierdaten. Sie scheiterten im Rat an der bürgerlichen Mehrheit.
Parlament sagt im Wesentlichen ja zur Zollgesetz-Mammutvorlage
Das Parlament stellt sich im Wesentlichen hinter das totalrevidierte Zollgesetz, das unter anderem die Bewaffnung von Angestellten des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit regelt. In verschiedenen Fragen verbleiben noch Differenzen.
Nationalrat anerkennt Völkermord an Jesiden
Der Nationalrat anerkennt die 2014 an der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden im Nordirak begangenen Massaker im Rahmen einer Erklärung als Völkermord. Er bittet den Bundesrat, sich international für die Wiedergutmachung der begangenen Verbrechen einzusetzen.
Parlament will Schiitenmiliz Hisbollah verbieten
Die gesetzliche Grundlage für ein Verbot der radikalislamischen palästinensischen Terrororganisation Hamas wurde in den Räten verabschiedet. Weiter wird versucht, auch die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah zu verbieten. Gesetzlich verboten sind in der Schweiz aktuell nur die Gruppierungen Al-Kaida und IS.
Nationalrat fordert Friedensforum zu Bergkarabach
Der Bundesrat soll innerhalb des nächsten Jahres ein internationales Friedensforum zum Bergkarabach-Konflikt organisieren. Das fordert der Nationalrat und hat eine entsprechende Motion seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) angenommen. Den Auftrag für die Organisation dieser Konferenz erhält die Landesregierung, sofern auch der Ständerat dem Vorstoss zustimmt.
Parlament befürwortet eigenen Straftatbestand gegen Stalking
Das Parlament will Opfer von Stalking besser schützen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat der Schaffung eines eigenen Straftatbestandes gegen Nachstellungen zugestimmt. In zwei wichtigen Punkten wich er jedoch vom Beschluss der grossen Kammer ab. Der Ständerat möchte gegenüber dem Nationalrat die Definition von Stalking ändern. Demnach soll es ausreichen, dass eine Verhaltensweise geeignet ist, jemanden in seiner Lebensgestaltungsfreiheit zu beschränken. Der Nachweis, dass beim Opfer diese Wirkung tatsächlich erzielt wird, wäre für eine Bestrafung nicht vonnöten.
Parlament will eine Anti-Sexismus-Strafnorm einführen
Es verlangt eine Ergänzung des Artikels 261bis des Strafgesetzbuches, der sogenannten Anti-Rassismus-Strafnorm. Konkret soll der Artikel mit dem Wort „Geschlecht“ ergänzt werden. Verstösse dagegen sollen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden. Gewalt und Hass gegen Frauen seien leider weit verbreitet, votierten die Befürworter der Anpassung. Eine Erweiterung der Strafnorm würde aus ihrer Sicht ein klares Signal aussenden, dass Aufrufe zu Gewalt und Hass aus Gründen des Geschlechts ebenso wenig toleriert würden wie Gewaltaufrufe aus rassistischen, antisemitischen oder homophoben Gründen. Die unterlegene Mehrheit anerkannte zwar, dass ein Problem bestehe, befürchtete aber gleichzeitig eine Überlastung des Justizsystems, aufgrund derer schwerere Fälle nicht beurteilt werden könnten. Zudem kritisierte sie, der Begriff des Geschlechts sei nicht klar genug definiert. Auch sei die Meinungsäusserungsfreiheit in Gefahr. «Ob zum Beispiel ein frauen- oder männerfeindlicher Witz nun strafbar ist oder nicht, lässt sich schwer beantworten», sagte Beat Rieder (Mitte/VS) dazu. Das Strafrecht diene nicht dazu, den Menschen Anstand und Moral beizubringen.
Kommentar Politbeobachter:
Interessant ist die Entstehungsgeschichte der Debatte. Das sexistische Plakat, das Schaffhauser Fussballfans beim Spiel des FC Schaffhausen gegen den FC Winterthur vor einigen Jahren entrollten, war der Auslöser der Gesetzesanpassung. Der Schriftzug «Winti Fraue figgä und verhaue» sei ein Aufruf zur Gewalt gegen Frauen und nicht zu tolerieren, kritisierten damals Clubverantwortliche und Politiker. Die Drahtzieher der Aktion bekamen ein schweizweites Stadionverbot für zwei Jahre und wurden von der Fanorganisation ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit. Das Bezirks- und in zweiter Instanz das Obergericht kam jedoch zum Schluss, dass kein Straftatbestand vorgelegen habe. «Der Text sei moralisch zwar komplett verwerflich, aber nicht strafbar.»