E-Collecting: Ständerat will Smartphone-Demokratie

Seit dem künstlich aufgeblasenen Unterschriftenskandal geht’s politisch rasch voran mit dem sogenannten E-Collecting – dem digitalen Unterschriftensammeln, an dem seit Jahren geplant wird. Der Ständerat hat am 11. Dezember gleich zwei Motionen dazu angenommen. Eine forderte die Umsetzung eines Pilotbetriebs von E-Collecting – das ist nachvollziehbar. Die zweite angenommene Motion, ist jedoch sehr fragwürdig. Sie fordert, dass künftig Initiativen und Referenden nur noch digital unterzeichnet werden können und beauftragt den Bundesrat damit die dafür notwendigen rechtlichen Grundlagen zu schaffen und eine Plattform fürs E-Collecting einzuführen. Die Ständeratsmehrheit ignoriert damit in seiner Digitalisierungseuphorie eine Verfassungsbestimmung (Art. 136 BV). Aus dieser ergibt sich ein Recht auf handschriftliches Unterzeichnen von Referenden und Initiativen. Da für sicheres E-Collecting eine E-ID notwendig ist, könnte seine Volksrechte nur noch nutzen, wer auch ein Smartphone hat. Damit wäre die Nutzung der politischen Rechte (Art. 34 BV) nicht mehr für alle gegeben. Wer aus weltanschaulichen Gründen oder zum Schutz seiner Privatsphäre auf ein Smartphone verzichtet, würde diskriminiert.

Hoffentlich entscheidet der Nationalrat bezüglich der Motion, die künftig nur digitales Unterzeichnen fordert, anders, und korrigiert den Ständerat. Sonst wird die Angelegenheit wohl noch für sehr viel Gesprächsstoff sorgen. Die Nutzung der politischen Rechte in unserer Demokratie darf NIE an die Nutzung einer E-ID und eines Smarphones gekoppelt werden.

Doch was würde die Einführung von E-Collecting für unsere direkte Demokratie bedeuten? Liest man die Argumentation der Befürworter und deren Kampagnenprofis, bringt E-Collecting gekoppelt mit der neuen E-ID eine barrierefreie politische Partizipation und stärkt die direkte Demokratie. Ob dies stimmt, ist schwer abzuschätzen, doch der Bericht des Bundes, welcher die organisatorischen, technischen, rechtlichen und staatspolitischen Chancen und Risiken von E-Collecting aufzeigt, liefert zusätzliche Antworten zur Sinnhaftigkeit des E-Collecting. Wir haben das Dokument durchgeackert und uns informiert.

Gemäss einem im Bericht des Bundes zitiertem Rechtsgutachten besteht ein verfassungsmässiger Rechtsanspruch auf händische Unterzeichnung einer Volksinitiative und somit ist klar, E-Collecting darf, wenn überhaupt, höchstens ein weiterer Weg zum Sammeln von Unterschriften sein. Die Sicherheitsanforderungen ans digitale Unterschriftensammeln sind zurecht sehr hoch, und entsprechend werden es auch die Kosten für die Umsetzung sein. Kosten einsparen können höchstens die Initiativkomitees – für den Staat und somit für den Steuerzahler wird’s teurer.

Was bringt der Vorteil der tieferen Kosten für Bürgerkomitees beim Unterschriftensammeln? Können Sie mit E-Collecting die politischen Rechte günstiger nutzen und wird es einfacher, die Unterschriften für Volksinitiativen oder Referenden zu sammeln? Eine Analyse auf Ebene Kanton deutet darauf hin, dass die Senkung der Kosten allein nicht ausschlaggebend für eine vermehrte Nutzung der Volksrechte sein dürfte – so der Bericht des Bundes. Die Fristen und Quoren für Initiativen in den Kantonen sind sehr verschieden und haben praktisch keinen Einfluss auf die Nutzungshäufigkeit der direktdemokratischen Instrumente. Es ist schwer vorstellbar, dass sich dies auf Bundesebene anders verhalten sollte.

Damit wir nicht über zu viele Referenden und Initiativen abstimmen müssen und das politische System nicht mit aussichtslosen Begehren überhäuft wird, sind Quoren in der Verfassung festgeschrieben. Würden nun durch E-Collecting zum Beispiel doppelt so viele Vorlagen Zustandekommen, wäre die logische und wohl sinnvolle Konsequenz das Anheben der notwendigen Anzahl Unterschriften. Bereits heute wird nur deutlich weniger als jede zehnte Initiative, die zur Abstimmung gelangt, vom Volk angenommen.

Wird die Demokratie sicherer durch E-Collecting?

Der aktuelle Prozess bei der Unterschriftensammlung zeichnet sich dadurch aus, dass verschiedene Akteure beteiligt sind und sich gegenseitig kontrollieren. Durch die dezentralen Abläufe haben Fehler keine weitreichenden Konsequenzen – es gibt jedoch auch noch Potential zur Optimierung.

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Der «Unterschriften-Bschiss» im letzten Herbst, wurde von einer Jury des SRF zum Unwort des Jahres gekürt, hat kleine Schwachstellen im Beglaubigungsprozess aufgezeigt und die Umsetzungsschritte fürs E-Collecting begünstigt. Das Identifizieren von ein paar Schwindlern, die gefälschte Unterschriftenbogen verkauften, hat aber nie auch nur ansatzweise dazu geführt, dass Initiativen oder Referenden zu Unrecht zustande gekommen wären. Ein Grossteil der gefälschten Unterschriften wurden von den Gemeinden für ungültig erklärt. Der «Skandal», der keiner war, hat gezeigt, dass der bestehende Prozess grundsätzlich funktioniert und der Vertrauensschaden bei der Bevölkerung primär durch die exzessive Berichterstattung entstanden ist. Diese wurde nicht zuletzt von den Befürwortern des E-Collecting befeuert.

Der Einsatz eines zuverlässigen elektronischen Mittels zur Identifizierung beim E-Collecting kann Missbrauchsversuche wie sie bei der papierbasierten Unterschriftensammlung auftreten, eliminieren. E-Collecting bringt aber neue Risiken mit sich, die es mit Blick auf das öffentliche Vertrauen und die Sicherheit zu berücksichtigen gilt. Einzelne Handlungsschritte im Prüfprozess der Unterschriften sind nicht mehr unabhängig überprüfbar und sind zentralisiert.

Wer würde wohl E-Collecting nutzen? Gemäss einer für den Bericht erstellten Studie spricht einiges dafür, dass «elektronische Unterstützungsbekundungen primär von Personen mit höherem sozioökonomischem Status und bestehendem politischen Engagement abgegeben würden». Mit anderen Worten verkürzt dargestellt: Der Akademiker hätte einen Vorteil gegenüber dem Handwerker. Die Tendenz zu einer ungleichen Partizipation könnte sich verstärken, wenn die Strassensammlungen durch E-Collecting verdrängt würden. Dies wäre wohl nicht im Interesse unserer direkten Demokratie und auch nicht förderlich für ein friedliches Zusammenleben. Bemerkenswert ist, dass sich bei der Frage der Nutzer möglicherweise der Kreis schliesst. Denn die feurigsten Verfechter des E-Collecting sind diejenigen, welche den sogenannten Unterschriftenskandal aufgebauscht haben und durch elektronisches Unterschriftensammeln am ehesten an politischem Einfluss gewinnen könnten.

Lange Rede – kurzer Sinn. E-Collecting tönt gut, doch das Einzige, was es sicher mit sich bringt, sind Mehrkosten. Dass der Ständerat nur noch den digitalen Weg erlauben will, muss als gedanklichen Aussetzer des «Chambre de Reflexion» bezeichnen werden, der hoffentlich korrigiert wird.

 

Quellen:

Bericht zu E-Collecting vom 20. November 2024 in Erfüllung des Postulats 21.3607:

https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2021/20213607/Bericht%20BR%20D.pdf

Medienmitteilung zum Bericht E-Collecting:

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-103228.html

Motion für rasche Einführung der digitalen Unterschriftensammlung

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243851

Motion für Pilotbetrieb E-Collecting mit E-ID:

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243905

Bundesrat trifft Technologieentscheid zu E-ID – Medienmitteilung:

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-102922.html

https://www.demokratie.ch/blog/e-collecting-weg-frei-fur-die-smartphone-demokratie

https://www.srf.ch/news/schweiz/digitale-unterschrift-bundesrat-nicht-begeistert-von-e-collecting

https://politbeobachter.ch/e-id-alter-wein-in-neuen-schlaeuchen/

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