EU-Bescherung: Das gleiche Problem neu verpackt

Der Bundesrat versucht das Ende der Verhandlungen als vollen Erfolg darzustellen. In vielen wesentlichen Punkten gibt es aber kaum Veränderungen gegenüber dem vor einigen Jahren gescheiterten Rahmenabkommen. So viel ist bereits bekannt, auch wenn die Vertragstexte noch nicht verfügbar sind. Sogar der eher regierungsfreundliche Bundeshausredaktor Andy Müller musste im SRF-News attestieren: «Die Schweiz verpflichtet sich zur dynamischen Rechtsübernahme und auch der Europäische Gerichtshof wird mitdiskutieren, wenn es um Europäisches Recht geht.» Die innenpolitische Diskussion wird noch lange dauern und intensiv werden.

In einem für die Schweiz ungewöhnlichen Setting gab es präsidiale Statements im Hotel Bernerhof von Viola Amherd und Ursula von der Leyen. Amherd hatte wohl für sich persönlich einen grossen Tag. Sie durfte mit der EU-Kommissionspräsidentin auftreten und einen Erfolg verkünden. Die Stimmung war feierlich, die rhetorischen Fähigkeiten aber ungleich verteilt. «Ich danke dir liebe Ursula für dein ganz persönliches Engagement» und dann wechselte das Wort von Amherd zu von der Leyen. «Heute ist ein Tag grosser Freude. Dieses Abkommen zwischen der EU und der Schweiz ist historisch.» verkündete die EU-Kommissionspräsidentin. Inwiefern der Vertag, wie behauptet, eine «Partnerschaft auf Augenhöhe» ist, darüber lässt sich jedoch zurecht streiten. Von der Leyen betonte, dass «die Zusammenarbeit auf ein neues Niveau gehoben» wurde – das stimmt. Da institutionelle Elemente und somit die Übernahme von EU-Recht in allen Abkommen integriert ist, unterscheiden sich diese konzeptionell von den bisherigen bilateralen Verträgen deutlich. Damit keine Zweifel aufkommen, waren zum Lobgesang auf das Verhandlungsabschluss von Amherd und von der Leyen die Journalisten zwar eingeladen, durften aber keine Fragen stellen.

Der Stimmungswechsel zum zweiten Teil des Bundesratsauftritts war eklatant. An der Pressekonferenz im Medienzentrum des Bundes präsentierten mit Beat Jans, Ignazio Cassis und Guy Parmelin gleich drei Bundesräte die neuen Verträge. Ohne jeglichen Enthusiasmus betonten Sie, dass das Verhandlungsmandat vollständig erreicht wurde, und der Chefunterhändler einen tollen Job gemacht habe. Das mag sein, doch das Verhandlungsmandat, welches die Zielsetzungen der Schweiz regelte, war defacto schon das Kapitulationsschreiben an die EU. Bei den mehrheitlich guten Journalistenfragen im Anschluss wurde die Luft teils dünn für die Bundesräte. Die Antworten auf konkrete Fragen waren ausschweifend und meist auf einer Flughöhe formuliert, dass diese viel Interpretationsspielraum zulassen. Der aufmerksame Zuhörer stellte fest…

…dass die Schutzklausel zur Regulierung der Zuwanderung sehr unscharf definiert ist. Ob und wie man Sie anrufen kann, ist unklar.

…dass es zwar ein paritätisch besetztes Schiedsgericht gibt, am Ende jedoch trotzdem der Europäische Gerichtshof entscheidet. Es bleibt der Verdacht, dass die geplante Instanz für Streitbeilegung nicht mehr als eine Nebelpetarde ist, die verdeckt, was wirklich vor sich geht. Faktisch unterstellt sich die Schweiz im Geltungsbereich bei acht Abkommen dem EU-Gericht.

…dass innenpolitisch mit den Gewerkschaften nach Lösungen gesucht werden muss, weil das aktuelle Lohnniveau der Arbeitnehmenden durch die Verträge unzureichend geschützt ist.

Die Frage, weshalb die Schweiz zahlen muss, um Handel zu treiben, obwohl die EU deutlich mehr an die Schweiz verkauft als umgekehrt, hat leider erneut niemand gestellt. Dass neu für den Zutritt der Schweiz zum EU-Binnenmarkt ab dem Jahr 2030 rund 350 Millionen anstatt wie bisher 130 Millionen bezahlt werden müssen, wurde nicht hinterfragt.

Wie geht’s nun weiter? Als nächstes unterzeichnen nach einer rechtlichen Prüfung die Chefunterhändler die Verträge. Bis im Sommer 2025 sollte die Bundesverwaltung die dafür notwendigen Anpassungen in zahlreichen Bundesgesetzen entwerfen, damit das Parlament nach einer Vernehmlassung mit der Beratung dieser beginnen kann. Der Prozess wird ein bis zwei Jahre dauern und vermutlich zu einer Volksabstimmung aufgrund eines Referendums führen. Bis es also zum nächsten Mal vor dem Urnengang eine epische Abstimmungsschlacht wie beim EWR-Nein 1992 gibt, wird es wohl mindestens 2027. Ob eine solche erfolgreich sein wird, hängt weniger von bärtigen Helebardenträgern, als von der Lohndiskussion der Gewerkschaften ab. Wenn auch Gewerkschaften wie Travaille Suisse, der SGB oder die UNIA und nicht «nur» die SVP sich gegen die Verträge positionieren, werden diese mit grosser Wahrscheinlichkeit scheitern. Spannend wird, wie sich die FDP positioniert, die sich aktuell zurückhält.

Es bleibt zu hoffen, dass sich bis zur Volksabstimmung in einigen Jahren die internationale Grosswetterlage weiter hin zu schlanken staatlichen Strukturen und weniger Beamtentum entwickelt. Das politische Klima in Europa ist von Amerika mitbeeinflusst und dort spricht einiges für einen solchen Wandel. Dann wäre die Wahrnehmung eines «Nein» zu den EU-Verträgen plötzlich auch «zeitgemäss, lean und dem Zeitgeist entsprechend», anstatt nur altbacken und protektionistisch.

Quellen:

Präsidiale Statements Bernerhof:
https://www.youtube.com/watch?v=UIpgt4OgE1s

https://bern-einfach.podigee.io/976-bern-einfach-2012

https://www.youtube.com/watch?v=zdKALIKbmOE

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