Der Verhaftete und der Reuige
Am Samstag, 24. August klickten am Bourget Flughafen in Paris die Handschellen. Pawel Durov, der Gründer des Messenger Dienstes Telegram, wurde festgenommen. Elon Musk bezeichnete den Vorfall als Beweis für «gefährliche Zeiten» und einen Verstoss gegen das Recht auf Meinungsfreiheit. Weshalb ist der Vorfall für uns relevant? Was hat Durov getan oder unterlassen?
Artikel 16 der Bundesverfassung schützt die Meinungs- und Informationsfreiheit und Artikel 17 die Medienfreiheit. Ohne diese Grundrechte kann eine direkte Demokratie nicht funktionieren. Auch für die politischen Systeme in unseren Nachbarländern sind die genannten Grundrechte elementar. Digitale Plattformen wie YouTube, X und Facebook, aber auch Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram sind im 21. Jahrhundert zu sehr wichtigen Informationsquellen und Kommunikationskanälen geworden. Zensur und Einflussnahme auf den genannten Plattformen durch Staaten oder Geheimdienste dürfen nicht sein, sind aber keine Seltenheit. Doch wo hört Meinungsfreiheit auf und wo fängt strafbare Hassrede an? Von staatlicher Seite her gilt es einen schmalen Grat zu begehen. Einerseits müssen illegale Aktivitäten und Äusserungen gestoppt und geahndet werden. Andererseits dürfen Massnahmen aber nicht zu ungerechtfertigter Zensur legitimer Inhalte führen. Diese ist gemäss Verfassung verboten (Art. 17 Abs. 2 BV).
Zurück zu Pawel Durov. Gemäss dem Tagesanzeiger soll er sich fehlenden Eingreifens bei Telegram, unzureichender Kooperation mit Behörden bei Drogenhandel sowie weiterer schwerer Delikte schuldig gemacht haben. Auch die mangelnde Kooperation mit Behörden bei gesetzlich zulässigen Abhörmassnahmen werde ihm vorgeworfen. In einer Stellungnahme verteidigt sich Telegram und schreibt, das Unternehmen habe alle geltenden Vorgaben und Regulierungen eingehalten – inklusive dem neuen Digital Services Act der EU. Das Onlineportal Watson schreibt ohne weitere Ausführungen, Durov sei «ein Techmilliardär, der über Leichen geht». «In dubio pro reo» (im Zweifel für den Angeklagten) scheint hier nicht zu gelten. Techmilliardäre wie Durov, Zuckerberg oder Musk sind clever, eigensinnig und aus staatlicher Sicht ein Unsicherheitsfaktor. Sie sagen oft, was Sie denken oder tun und lassen, was ihnen beliebt. Auf den Wunsch staatlicher Einflussnahme auf ihre mächtige Digitalinfrastruktur reagieren sie unterschiedlich – manche geben nach, andere nicht.
Am 26. August schrieb Mark Zuckerberg, CEO des Konzerns Meta, einen brisanten Brief an Jim Jordan, den Vorsitzenden des Justizausschusses im US-Repräsentantenhaus. Er zeigte sich reuig, staatlicher Beeinflussung nachgegeben zu haben und wolle dies künftig nicht mehr tun. 2021 sei Facebook von der Biden-Administration «während Monaten wiederholt unter Druck gesetzt worden, gewisse Covid-19-Inhalte zu zensieren, inklusive Humor und Satire». Zudem habe das FBI Facebook «gewarnt», dass Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Bidens Sohn Hunter eine «russische Desinformationsoperation» seien. «Inzwischen ist klar», so Zuckerberg, «dass es sich bei der Berichterstattung nicht um russische Desinformation handelte, und im Nachhinein betrachtet, hätten wir die Geschichte nicht herabstufen sollen. Wir haben unsere Richtlinien und Prozesse geändert, um sicherzustellen, dass so etwas nicht mehr vorkommt.»
Einzelfälle? Nicht wirklich. Die Twitter-Files (zu Themen wie der Laptopaffäre von Hunter Biden, der Schmälerung der Sichtbarkeit einzelner Accounts, zum Umgang mit Donald Trump, zur Beziehung zwischen Twitter und FBI/ zur US-Regierung sowie zur Handhabung von Covid-19-Inhalten), die im Auftrag des neuen Eigners Elon Musk veröffentlicht wurden, zeigten ähnliches. Gemäss der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) besteht die Gemeinsamkeit der Files darin, «dass diese allesamt Verbindungen zwischen den US-Behörden und dem alten Management von Twitter nahelegen, um unerwünschte Inhalte zu unterdrücken, und dass sie damit Manipulationen des Informationsflusses durch den Kurznachrichtendienst aufzeigen wollen».
Der Telegram-Gründer Durov hat sich im Gegensatz zu der früheren Führungsriege von Twitter und Mark Zuckerberg bis heute jeglicher Art staatlicher Beeinflussung widersetzt und ist daher vielen Behörden ein «Dorn im Auge». Dies lässt vermuten, dass die Verhaftung auch politisch motiviert sein könnte – auch wenn Emmanuel Macron diese These bereits dementiert hat. Ob die bestehenden Verdachtsmomente, die zur Verhaftung des Telegram-Gründers führten, sich erhärten werden, ist und bleibt unklar. Ein Gericht in Paris hat am Mittwochabend 28. August die Untersuchungshaft gegen Durow, gegen Auflagen aufgehoben. Er musste eine Kaution zahlen, sich zwei Mal die Woche bei der Polizei vorstellen und darf Frankreich nicht verlassen. Das Strafverfahren gegen ihn läuft weiter.