Chat-Kontrolle: Arbeitsverweigerung in der Rechtskommission

Die Rechtskommission des Ständerates hat die Behandlung einer wichtigen Motion zur Chat-kontrolle sistiert. Doch was ist mit der «Chat-Kontrolle» genau gemeint und weshalb wäre eine klare Positionierung der Schweiz hierzu wichtig?

Die Nachrichten, die wir täglich per Signal, WhatsApp, Telegram oder Threema versenden sind End zu End (E2E) verschlüsselt, damit digitale Kommunikation sicher und geheim bleibt. Beim Abschicken wird jede Nachricht mit einem Geheimcode verschlüsselt und nur das empfangende Handy hat das entsprechende Gegenstück, um diesen Geheimcode wieder in die ursprüngliche Textnachricht zu übersetzen. Weil auch der Anbieter, den für jede Nachricht einzigartigen Code nicht hat, gilt die E2E-Verschlüsselung als Goldstandard für sichere Kommunikation.

Ein Gesetzesentwurf der EU-Kommission vom Mai 2022 will nun die E2E Verschlüsselung umgehen (sogenannte Chat-Kontrolle), um Kinder besser vor Missbrauch zu schützen. Die Verbreitung von Missbrauchsmaterial von Kindern soll verfolgt werden können und durch das automatisierte Durchsuchen von Textnachrichten soll das sogenannte Grooming (Anbahnungsversuche im Netz mit Minderjährigen) unterbunden werden. Apps und Kommunikationsplattformen sollen gesetzlich verpflichtet werden, eine Überwachungsfunktion einzubauen. Versendete Bilder sollen durch eine solche «Hintertür» mit einer geheimen Datenbank abgeglichen und Chatnachrichten oder Kommentare auf Social Media nach verdächtigen Mustern gescannt werden. Eine zentrale Stelle soll Inhalte und Muster festlegen, nach denen gefahndet wird. Wird etwas Verdächtiges entdeckt, muss der Chatanbieter dies den Behörden melden.

Eine solche Massenüberwachung von unbescholtenen Bürgern widerspricht dem Schutz der Privatsphäre gemäss Artikel 13 der Bundesverfassung sowie Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Chat-Kontrolle ist ein ungeeignetes Mittel zur Stärkung des Kinder- und Jugendschutzes. Fachverbände weisen darauf hin, dass die verschlüsselte Kommunikation in den meistverbreiteten Apps in diesem Bereich kaum eine Rolle spielt, da die Täter meist andere Kanäle nutzen, um Material zu tauschen. Das Geld, welches in ein dystopische Überwachungsmaschinerie investiert werden soll, würde besser in effektiven Kinder- und Jugendschutz investiert. Zudem besteht das Risiko, wenn eine solche Überwachungsinfrastruktur eingeführt ist, dass diese später auch zur Verfolgung von weiteren Delikten verwendet wird.

Im Herbst 2023 stimmte der Nationalrat der Motion «Chat-Kontrolle. Schutz vor anlassloser dauernder Massenüberwachung» sehr deutlich zu, weil eine solche Regulierung der EU auch Schweizer Nutzer betreffen würde. Die Motion will den Bundesrat damit beauftragen seine politischen Kanäle zu nutzen, um die EU-Chatkontrolle abzuwenden. Zudem soll er Massnahmen einleiten, um die Bürger vor der absehbaren Verletzung der verfassungsmässigen Grundrechte zu schützen. Nach über einem Jahr Verzögerung hat sich die Rechtskommission des Ständerates nun mit dem Thema befasst und einen skandalösen Entscheid gefällt. Anstatt sich gegenüber der drohenden Gesetzesverletzung klar zu positionieren, sistierte die Kommission die weitere Behandlung der wichtigen Motion und will abwarten, wie sich die EU-entscheidet. Weil das strittige Gesetz im EU-Ministerrat aktuell auf der Kippe steht, und bereits zahlreich Staaten datenschutzrechtliche Bedenken angemeldet haben, könnte ein entschlossenes Positionieren des Bundesrats durchaus einen nennenswerten Einfluss haben. Das Verhalten der Kommissionsmitglieder des Ständerats wirft viele Fragen auf. Wäre es nicht die Aufgabe der Parlamentarier dafür zu sorgen, dass der Schutz der Privatsphäre gemäss Artikel 13 der Bundesverfassung auch künftig gewährleistet ist?

Quellen:

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20224113

https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-s-2025-01-29.aspx?lang=1031

https://www.piratenpartei.ch/2025/01/29/arbeitsverweigerung-in-der-rk-s-und-br-will-auf-dem-verordnungsweg-ueberwachung-ausbauen/

https://chat-kontrolle.eu/index.php/2024/06/21/chatkontrolle-jetzt-koennte-es-ernst-werden/

https://threema.ch/de/blog/posts/chatkontrolle-stoppen

https://netzpolitik.org/2024/interne-dokumente-sperrminoritaet-gegen-chatkontrolle-wackelt/

https://www.euractiv.de/section/innovation/news/eu-innenminister-finden-weiterhin-keine-einigung-bei-chatkontrolle/

 

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