Sturm im Wasserglas

Zahlreiche bereits eingereichte Volksinitiativen sind nur dank bezahlten Unterschriftensammlern zustande gekommen. Doch diese und deren Organisationen nahmen es nicht sonderlich genau. Offenbar wurden von Incop, einem Verein, der gegen Bezahlung sammelt, ganze Unterschriftenbogen von vergangenen Initiativen abgeschrieben oder Unterschriften schlicht gefälscht.

Das Gute: Die Gemeinden haben einen grossen Teil der Schummelei laufend abgefangen und korrigiert. Es liegen gemäss der Bundeskanzlei keine Hinweise vor, dass Volksinitiativen oder Referenden dank gefälschter Unterschriften zur Abstimmung gelangt sind. Doch die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Wahlfälschung gegen die Lausanner Organisation Incop und deren Leiter Franck Tessemo. Die Co-Präsidentin der «Service-Citoyen-Initiative» beschuldigt diesen zudem des systematischen Betrugs. Bezahltes Unterschriftensammeln ist heikel, und müsste wohl besser geregelt werden. In der medialen Berichterstattung zum Fall wird aber viel dramatisiert – wegen ein paar duzend unsauber arbeitenden Unterschriftensammlern ist unsere Demokratie nicht in Gefahr.

Wie werden gesammelte Unterschriften auf ihre Gültigkeit geprüft?

Ob eine Unterschrift gültig ist, wird auf Gemeindeebene festgestellt. In der zweiten Hälfte der Sammelfrist eines Volksbegehrens, sortieren Initiativ- und Referendumskomitees üblicherweise die Unterschriftenbogen nach Wohngemeinden und senden diese per Post an die Gemeinden. Die Angestellten der Gemeindeverwaltung prüfen danach jede ausgefüllte Zeile auf den Unterschriftenbogen – Sie kontrollieren ob die unterzeichnenden Personen in der Gemeinde an der genannten Adressen wohnen und ob sie berechtigt sind, zu unterschreiben. Auch das Geburtsdatum wird kontrolliert. Zudem wird im Stimmrechtsregister der Gemeinde erfasst, wer welche Vorlage unterzeichnet hat, um Doppelunterschriften zu vermeiden. Wenn sich zum Beispiel auf einem Bogen mit 10 Unterschriften eine ungültige befindet, wird die betroffene Zeile durchgestrichen und die anderen 9 Unterschriften sind und bleiben gültig. Am Ende des aufwändigen Prozesses auf Gemeindeebene werden die geprüften Unterschriftenbogen abgestempelt und gesammelt an das Initiativkomitee retourniert. Hat ein Bogen den ganzen genannten Prozess durchlaufen, spricht man von einem beglaubigten Unterschriftenbogen.

In der Regel beträgt die durch die Gemeinden festgestellte Fehlerquote 5-10% – meist, weil versehentlich eine Initiative zweimal unterschrieben wird. Die Fehlerquote bei den bezahlten Unterschriftensammlern von Incop lag bei 30-90% im Fall der «Service-Citoyen-Initiative». Da die Initianten immerhin 4.50 CHF pro Unterschrift bezahlten, war Ärger vorprogrammiert. Hinter Incop steht gemäss 20Minuten ein intransparentes Netz an schlecht bezahlten kommerziellen Unterschriftensammlern die, wenn Aufträge vorliegen, aus Frankreich oder dem Magreb extra fürs Sammeln in die Schweiz einreisen. Nebst dem «Branchenkrösus» Incop bieten in der Westschweiz rund ein halbes Dutzend Unternehmungen bezahlte Unterschriftensammlung an – offenbar ist dies ein lukratives Geschäft.

Die Reaktion aus der Politik auf den «Unterschriften-Bschiss» lässt nicht lange auf sich warten. So sieht der grüne Nationalrat Balthasar Glättli das Problem beim gewerbsmässigen Unterschriftensammeln. Die Grüne Nationalrätin Greta Gysin will für Ihre Partei in der Herbstsession nächste Woche einen Vorstoss einreichen, der bezahltes Unterschriftensammeln verbieten will. Auch der Luzerner SP-Nationalrat David Roth will solche Unternehmen stoppen. Bereits 2021 hatte SP-Nationalrat Mathias Reynard (VS) eine Motion mit dem Ziel des Verbots gewerbsmässigen Unterschriftensammelns eingereicht. Sie wurde seinerzeit mit 123 zu 61 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Auch aktiv zum Thema ist der versierte Politcampaigner Daniel Graf. Er hat mit seiner Unterschriftensammelplattform WeCollect einen offenen Brief in Umlauf gebracht und fordert damit Parlament und Bundesrat ebenfalls auf, bezahlte Unterschriftensammlung zu verbieten.

Die Forderung nach einem Verbot von bezahlter Unterschriftensammlung muss diskutiert werden. Fälschen kann jedoch auch ein Freiwilliger und häufig sind Verbote nicht die besten Lösungen, um einen Sachverhalt zu regeln. Nur weil ein Bürger von einer bezahlten Person auf ein politisches Anliegen hingewiesen wurde, ist seine Unterschrift nicht weniger relevant, als wenn dies durch einen Freiwilligen passiert ist. Denkbar wäre daher auch, eine Offenlegungspflicht der Initiativkomitees für bezahltes Unterschriftensammeln. Ebenfalls zu einer Verbesserung beitragen würde, wenn im Stimmrechtsregister die digitale Unterschrift eines jeden Bürgers hinterlegt wäre und beim Beglaubigen mit dem Unterschriftenbogen abgeglichen würde.

Berichterstattung zum Thema

https://www.tagesanzeiger.ch/abstimmungen-unterschriften-betrug-bei-volksinitiativen-384143367276

https://www.srf.ch/news/schweiz/verdacht-auf-wahlfaelschung-erste-reaktionen-aus-der-politik-nach-dem-unterschriften-bschiss

https://www.tagesanzeiger.ch/unterschriften-bschiss-bund-rechtfertigt-informationspolitik-602981484410

https://www.tagesanzeiger.ch/unterschriften-bschiss-campaigner-vergleicht-initiative-mit-pizza-106353335173

https://weltwoche.ch/daily/beim-unterschriften-skandal-gibt-sich-unterschriften-sammler-daniel-graf-als-staatsmaennischer-analytiker-wer-ist-dieser-mann-der-mit-seiner-adresskartei-geld-verdient/

https://wecollect.ch/projekte/unterschriften-bschiss?utm_source=ActiveCampaign&utm_medium=email&utm_content=%F0%9F%9B%91+Tausende+Unterschriften+gef%C3%A4lscht!&utm_campaign=20240902_2153_Schweiz_offener+Brief_Unteschriften-Bschiss_DE&vgo_ee=CHZyAKlEM8RQO3kPO9TOO%2B8QNEN/72n3tNHZ55NnCdUwG%2BGjsQ==:hLHmGveL30iutpWDFUx49arybU4URFLK

https://www.20min.ch/story/verdacht-auf-betrug-schweizer-demokratie-wird-von-unterschriften-skandal-erschuettert-103178898

https://www.swissinfo.ch/fre/politique/le-march%c3%a9-des-initiatives-s-envole-7-50-francs-pour-une-signature/48309552

https://www.blick.ch/politik/unterschriften-bschiss-bundesanwaltschaft-ermittelt-jetzt-wegen-wahlfaelschungs-verdacht-id20099282.html

https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft-politik/703940288-unterschriften-bschiss-diese-initativen-koennten-betroffen-sein

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