Sondersession vom 5. bis 7. Mai

Normalerweise findet viermal pro Jahr eine Session von National- und Ständerat statt. Weil dies nicht ausreichte, um alle Geschäfte zu behandeln, fand Anfang Mai eine Sondersession statt. Ende 2024 waren etwa 2.200 Geschäfte hängig – rund 200 mehr als im Vorjahr. Der Politbeobachter fasst die wichtigsten Beschlüsse der Sondersession zusammen:

Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sollen dieselben Politischen Rechte haben.

Der Nationalrat stimmt einer Motion zu, welche dies fordert. Leute mit geistiger Behinderung, die eine umfassende Beistandschaft benötigen, hätten somit Stimmrecht. Sie könnten nicht nur abstimmen, sondern auch in ein politisches Amt gewählt werden. Bundesrat Beat Jans sagte während der Debatte: «Die Annahme der Motion würde einen gesellschaftlichen Fortschritt für die Inklusion und Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen bedeuten.»

Kommentar Politbeobachter

Die Motion verlangt, dass Artikel 136 der Bundesverfassung, der folgendermassen lautet: «Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und die nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten.» angepasst wird. Es stellt sich die Frage, wie ein Mensch, welcher aufgrund einer geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, den Alltag zu bewältigen, komplexe politische Fragestellungen beurteilen kann. Wie wird das Risiko der Einflussnahme durch die einer behinderten Person nahestehenden Menschen beurteilt? Wem würden die potenziell rund 16.000 Stimmen geistig Behinderter vor diesem Hintergrund am ehesten zugutekommen?

Inklusion und die bestmögliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft sind unbestritten wichtig. Mündigkeit und insbesondere Urteilsfähigkeit sollten aber nach wie vor die Grundvoraussetzung sein, um unsere Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Es bleibt zu hoffen, dass der Ständerat präzisierend eingreift und die bestehenden Werte mit der Forderung der Motion in ein besseres Verhältnis bringt.

 

Nationalrat will gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankern

Der Nationalrat hat mit klarer Mehrheit beschlossen die gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch zu verankern. Neu sollen auch unterstützende Massnahmen wie Beratungsangebote für Eltern und Kinder eingeführt werden. Eine SVP-Minderheit wollte nicht auf die Vorlage eintreten und auf eine ausdrückliche Erwähnung einer gewaltfreien Erziehung im Zivilgesetzbuch verzichten, zumal diese bereits im Strafgesetzbuch festgehalten sei. Das Geschäft des Bundesrats geht nun an den Ständerat. 2019 wurde eine entsprechende Motion von beiden Räten angenommen und der Bundesrat damit beauftragt die das Zivilgesetzbuch entsprechend anzupassen.

 

Gegenvorschlag zur «Kita-Initiative» nimmt Form an

Bisher hat der Bund die Schaffung von Kita-Betreuungsplätzen mit 451 Millionen Franken unterstützt. Das 2003 in Kraft getretene Programm wurde mehrmals verlängert und läuft noch bis Ende 2026. Bei der geplanten Anschlusslösung wurde zuletzt über die Höhe, die Verwendung und die Anwendungsfelder der Fördergelder gestritten. Die Räte haben beschlossen diese Vorlage als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» zu präsentieren. Die Initiative verlangt, dass Eltern höchstens zehn Prozent des Einkommens für die Kita-Plätze ihrer Kinder ausgeben müssen.

Inhaltlich besteht der Gegenvorschlag aus einer Betreuungszulage für bis achtjährige Kinder. Diese beträgt monatlich mindestens hundert Franken, wenn Kinder an einem Tag pro Woche in einer Institution betreut werden. Pro zusätzlichen halben Betreuungstag erhöht sich die Zulage um fünfzig Franken. Die Zulage ist auch für nicht erwerbstätige Eltern vorgesehen, wenn sich diese in Aus- oder Weiterbildung befinden. Über die Finanzierung der Zulagen entscheiden gemäss übereinstimmenden Beschlüssen beider Kammern die Kantone, wie bei den Familienzulagen. Bei der sogenannten «Programmvereinbarung» bestehen noch Differenzen zwischen den Räten, die bereinigt werden müssen.

Kommentar Politbeobachter:

Interessant sind die volkswirtschaftlichen Überlegungen, welche der Infosperber zu den Kita-Geldern anstellt: Der Journalist Werner Vontobel argumentiert, dass die staatliche Kita-Förderung aus volkswirtschaftlicher Sicht ineffizient sei. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern zahle (in Zürich) rund 57’000 Franken pro Jahr für eine Vollzeitbetreuung, was etwa den tatsächlichen Kosten entspricht, da Kitas kaum Gewinn erwirtschaften. Gleichzeitig verdienen Kita-Angestellte (nach vier Jahren Ausbildung) im Schnitt rund 55’000 Franken pro Jahr, sodass die Betreuung zweier Kinder rund 150 Stellenprozente beansprucht, um den Eltern maximal 75 zusätzliche Stellenprozente zu ermöglichen.

Die volkswirtschaftliche Bilanz fällt damit negativ aus: Es werden mehr Erwerbsarbeitskapazitäten in die Betreuung verschoben als dadurch neu entstehen und das in einem nota bene schlecht bezahlten, instabilen Berufsfeld mit hoher Fluktuation. Die Kinderbetreuung professionalisiere unbezahlte Care-Arbeit, ziehe jedoch erhebliche Ressourcen ab, ohne den versprochenen Fachkräftezuwachs tatsächlich zu liefern.

Ein nachhaltiger Weg aus dem Dilemma bestünde darin, Erwerbs- und Care-Arbeit gleichwertig anzuerkennen und gezielt Modelle zu fördern, in denen beide Elternteile Teilzeit arbeiten, etwa je 60 %. Gleichzeitig sollten freiwillige Betreuungslösungen in Familien, Nachbarschaften und durch Tageseltern finanziell, rechtlich und organisatorisch gestärkt werden. Kitas blieben ein wichtiges Angebot, müssten aber besser finanziert und aufgewertet werden, um nicht auf dem Rücken schlecht bezahlter Frauen betrieben zu werden.

 

Individualbesteuerung: Nationalrat ist kompromissbereit

Die finanziellen Verluste für den Bund und die Kantone bei der Einführung der Individualbesteuerung sollen tiefer ausfallen als vom Bundesrat beantragt. Der Nationalrat sucht in diesem Sinn einen Kompromiss für die Einführung der Besteuerung unabhängig vom Zivilstand.

Das neue Gesetz über die Individualbesteuerung ist der indirekte Gegenvorschlag zur Initiative „Für eine Zivilstands-unabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)“ der FDP-Frauen. Die Individualbesteuerung soll auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene eingeführt werden. Die Übergangfrist für die Einführung der Neuerung beträgt mehrere Jahre. Hier finden Sie mehr Information zum Thema:

 

Nationalrat will keine landesweite Chip-Pflicht für Katzen

Im Gegensatz zu Hunden sollen Hauskatzen in der Schweiz nicht gechippt und in einem Register eingetragen werden. Das hat der Nationalrat entschieden. Damit ist die vom Bundesrat unterstützte Motion vom Tisch. Die von der SVP angeführte Minderheit argumentierte, dass die allgemeine Pflicht Zusatzverwaltung ohne Mehrwert bedeuten würde. Bereits heute könnten interessierte Besitzer Ihre Katzen freiwillig chippen. Die auch vom Bundesrat unterstützte Motion ist somit vom Tisch, das überschaubare Problem der rund 200.000 herrenlosen Hauskatzen aber nicht gelöst.

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