«Klima-Urteil» des EGMR – Aktivismus?

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Der Ständerat befasste sich kürzlich mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz zum Klimaschutz. Der Gerichtshof hatte Anfang April auf eine Beschwerde des Vereins KlimaSeniorinnen hin eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz festgestellt. Der Staat müsse Einzelpersonen vor den Folgen des Klimawandels für Leben und Gesundheit schützen und komme dieser Aufgabe zu wenig nach.

Die Rechtskommission der kleinen Kammer will nun eine Erklärung abgeben, die das Urteil kritisiert. Ausserdem plant sie, auf zusätzliche Klimamassnahmen zu verzichten. Der Bundesrat soll nach dem Willen der ständerätlichen Rechtskommission den Europarat darüber informieren, dass die Schweiz schon sehr viel unternehme für das Erreichen der Klimaziele. Sie erfülle die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils bereits. Debattiert wurde über drei Varianten einer Erklärung an den Europarat. Mit 26 Stimmen hat sich eine Mehrheit des Ständerats für die Version der Rechtskommission entschieden. Abgeschlossen ist das Thema damit noch nicht. Der Nationalrat debattiert hierzu diese Woche.

Spannend und inhaltlich treffend waren folgende Voten in der Ständeratsdebatte:

Daniel Jositsch (SP/ZH) sagte stellvertretend für die Rechtskommission: «Wir sind der Meinung, dass dieses Urteil falsch ist und damit die Akzeptanz dieser internationalen Justiz unterminiert wird». Dies auch, weil die Gewaltenteilung geritzt wird. Die Justiz kontrolliert die Gesetzgebung und ihre korrekte Anwendung. «Es ist nicht die Aufgabe des Gerichtes, Gesetze weiterzuentwickeln. Dann wären wir als Parlament faktisch überflüssig.» Es ist nicht Aufgabe eines Gerichtshofs, den Gesetzgeber zu übersteuern. In einer persönlichen Note sagt der SP-Ständerat, dass er es bedauert habe, dass das Volk 2021 das CO₂-Gesetz abgelehnt habe. Dies sei aber in einer Demokratie zu akzeptieren – und es sei nicht die Aufgabe von Richterinnen und Richtern, diese Entscheide zu übersteuern. Gut, dass in dieser Angelegenheit der Jurist Jositsch seine persönliche Meinung weniger gewichtet als Rechtsstaatlichkeit und Gewaltentrennung. Doch weshalb hat er nicht auch die Verfassung verteidigt, als über den «Ukraine-Armee Kuhandel» abgestimmt wurde?

Beat Rieder von der Mitte macht klar, dass der Ständerat nicht Richter über internationale Gerichte sei. «Wir sind die Korrespondenzadresse dieses Urteils.» Wesentlich sei, dass der EGMR der Meinung sei, dass die Schweiz ihre Gesetze nicht gut genug gemacht habe, um das Klima zu schützen. «Die Schweiz kennt keine Verfassungsgerichtsbarkeit des schweizerischen Bundesgerichts. Und erst recht nicht haben wir den EGMR als Verfassungsgericht in Strassburg für die Schweiz zu akzeptieren.» Dem kann man kaum etwas hinzufügen – oder doch?

Kommentar Politbeobachter:

Das «Klima-Urteil» führte zu Motionen, welche verlangen, dass die Schweiz die europäische Menschenrechtskonvention kündigt. Waren sich die KlimaSeniorinnen bewusst, dass Sie mit ihrem Aktivismus diesen Absichten Rückenwind geben? Sie fordern jedenfalls das Parlament auf, «das Recht» zu respektieren. Wenn man zwei Juristen zu einem Sachverhalt befragt, bekommt man oft drei Meinungen zu hören. Im Fall des «Klima-Urteils» muss aber lange gesucht werden, bis sich eine vertretbare rechtliche Argumentation für die Kompetenzüberschreitung des EGMR finden lässt. Grammatikalisch unschön ist hingegen der Fehler auf dem Plakat der Aktivisten. Zeichen wie Doppelpunkt, Genderstern und Gender-Gap sind gemäss geltender Rechtschreibung klar falsch. Dass alle Menschen unabhängig vom Geschlecht die gleichen Rechte haben, ist wichtig. Dies lässt sich jedoch nicht mit anderen Schreibweisen erreichen. Recht(schreibung) und Aktivismus sollten getrennt werden – auf dem Plakat genauso wie beim EGMR.

Weiterführende Infos:

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20240053

https://www.swissinfo.ch/ger/st%C3%A4nderat-kritisiert-klima-urteil-gegen-die-schweiz/79740847

https://www.srf.ch/news/schweiz/entscheid-zu-klimaseniorinnen-staenderat-kritisiert-klimaurteil-und-gibt-kontra

https://www.rechtschreibrat.com/geschlechtergerechte-schreibung-erlaeuterungen-begruendung-und-kriterien-vom-15-12-2023/

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243503

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