Das Energiegesetz und die Bundesverfassung

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Auf der Webseite des «Ja-Komitees» ist folgendes zu lesen: «Das Stromgesetz legt erstmals klare Regeln fest, wo die Energieproduktion Vorrang vor anderen Interessen hat und wo eben nicht gebaut werden darf und der Naturschutz höher gewichtet wird». Etwas seltsam erscheint in diesem Kontext das Votum vom prominentesten Befürworter des Stromgesetz in der Herbstsession 2023, von Bundesrat Albert Rösti. «In allen Stromproduktionsbereichen haben wir nämlich einen Vorrang gegenüber dem Naturschutz». Wer den Kontext anschaut, bemerkt dass unklar ist, ob er sich lediglich auf die 16 geplanten Grossprojekte oder auch auf alle künftigen Projekte bezieht.

Einer der fachkundig ist, und das Thema genauer unter die Lupe genommen hat ist Prof. Alain Griffel vom Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, an der Universität Zürich. Er kommt zum Schluss, dass der Bundesgesetzgeber befugt ist, einzelne öffentliche Interessen zu gewichten. Er darf dabei jedoch nicht gegen Interessengewichtungen verstossen, die bereits auf Verfassungsstufe vorgenommen wurden. Genau dies ist aber der Fall. Ein genereller Vorrang des Interesses an der Erzeugung erneuerbarer Energien vor allen anderen Interessen, insbesondere solchen des Naturschutzes (Art. 12 Abs. 3 EnG; Art. 9a Abs. 3 lit. d und Abs. 4 lit. c StromVG), verstösst in verschiedener Hinsicht gegen die Bundesverfassung (BV). Die Verschiebung dieser bereits in der Verfassung vorgenommenen Gewichtungen zugunsten des einen und zulasten von anderen Interessen ist nicht Sache des Parlaments, sondern des Verfassungsgebers, also von Volk und Ständen. Die Verfassung lässt sich jederzeit neuen Gegebenheiten anpassen; man sollte nur das dafür vorgesehene Verfahren einhalten.

Somit steht gemäss der Stimme des auf diesem Fachgebiet spezialisierten Professors folgendes fest: Das Parlament hat seine Kompetenzen überschritten und die Vorlage nicht genügend auf die Übereinstimmung mit der Verfassung geprüft. Daher gehört das neue Energiegesetz am 9. Juni abgelehnt, auch wenn es einzelne gute Aspekte beinhaltet.

Zudem schwächt das neue Gesetz die direkte Demokratie auf Gemeindeebene und dies gilt es zu vermeiden. Zu diesem Schluss kommt auch Dr. Lukas Pfister, ein auf Bau- und Immobilienrecht spezialisierter Anwalt, der kürzlich ein Rechtsgutachten dazu erstellte. Die Argumente des Gutachtens überzeugen. Daran ändert auch der Schönheitsfehler nichts, dass das «Nein-Komitee» zum Mantelerlass der Auftraggeber des Gutachtens ist.

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