Bundesrat lehnt Neutralitätsinitiative ab
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 26. Juni 2024 entschieden, die Neutralitätsinitiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die Initiative will die Handhabung der Neutralität neu in der Bundesverfassung verankern. Mit der neuen Verfassungsbestimmung dürfte die Schweiz in Zukunft unter anderem keine Sanktionen gegen kriegführende Staaten mehr ergreifen. Der Bundesrat befürchtet Flexibilität zu verlieren und das Instrument der Neutralität nicht mehr für die Wahrung der nationalen Interessen anwenden zu können.
Der Entscheid des Bundesrats ist wenig überraschend, jedoch trotzdem sehr bedauerlich. «Der Bundesrat ist der Meinung, dass sich die bisherige Neutralitätspraxis bewährt hat.» Dies ist in der Medienmitteilung des von Aussenminister Ignazio Cassis geführten Departements des Äusseren (EDA) zu lesen – Doch was ist damit wohl gemeint? Konnten die Bundesräte schwierige Diskussionen mit Amtskollegen in den Nachbarländern vermeiden, durch die gelinde gesagt «sehr flexible» Auslegung der Neutralität, welche in der Übernahme der Ukraine-Sanktionen kein Problem sah? Neutralität braucht Mut, doch dieser fehlt in der aussenpolitischen Strategie 2024-2027 des Bundes. Dort ist betreffend der Sanktionsübernahme folgendes zu lesen: «Hätte sich die Schweiz der Übernahme der Sanktionen gegen Russland verschlossen, wäre sie im europäischen und transatlantischen Umfeld isoliert und müsste mit grosser Wahrscheinlichkeit erhebliche Auswirkungen für die eigene Wirtschaft in Kauf nehmen». Der Bundesrat ist gemäss der Strategie dem «Gebot der Solidarität» gefolgt. Treffender würde es wohl heissen, er konnte dem bestehenden Gruppendruck nicht standhalten und hat die Sanktionen durchgewunken. Ob und inwiefern ein Nicht-Mittragen der Sanktionen zu wirtschaftlichen Nachteilen geführt hätte, ist schwer zu beantworten.
Doch was hat sich nun bewährt – Sanktionen oder die Neutralität? Gemäss der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock sollte mit den Sanktionen Russland «ruiniert» werden. Nach über zwei Jahren lässt sich feststellen: Die russische Wirtschaft ist weitgehend immun gegen die westlichen Sanktionen, die europäische leidet aber massiv unter den Regeln, welche sie sich selbst auferlegt hat. Bewährt hat sich also nicht die Neutralitätspolitik des Bundesrats der letzten Jahre, die man schon fast als Sanktionspolitik bezeichnen kann, sondern diejenige der letzten hundert Jahre. Während Europa im ersten und zweiten Weltkrieg zweimal in Trümmern lag, wurde die Schweiz von den Schrecken des Krieges weitestgehend verschont. Die Neutralitätspolitik ist letztlich die Sicherheitspolitik, die uns vor Krieg und Zerstörung bewahren kann, wenn Sie richtig gelebt wird.
«De facto aber macht die Schweiz, was die USA von ihr verlangen», schrieb Christian Müller von Infosperber bereits 2019 betreffend der Schweizer Neutralität im Zusammenhang mit dem Bankengeheimnis. Vermutlich mussten der amerikanische Botschafter Scott Miller, der seinen Arbeitsort in unmittelbarer Nähe des Bundeshauses hat, betreffend der Neutralitätsinitiative nicht einmal intervenieren. Das Ausmass an vorauseilendem Gehorsam gegenüber Washington dürfte im EDA gross genug sein, dass dies nicht erforderlich war.
«Wir sind neutral, wenn die anderen das auch akzeptieren». Dies sagte Ignazio Cassis im Jahr 2022 als Bundespräsident. Im Kontext, der von ihm und Viola Amherd organisierten Bürgenstock Konferenz, hat Russland die Schweiz als «offen feindseliges Land» bezeichnet. Das Versagen der Schweizer Aussenpolitik ist offensichtlich – auch wenn mit den Massstäben der Hauptakteure gemessen wird. Besser früher als später braucht es eine Kurskorrektur. Wenn nicht vom Bundesrat, so doch hoffentlich vom Volk dank der Neutralitätsinitiative.
Quellen:
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-101632.html